Hier am Fort und dessen unmittelbarar Nähe lagern diverse Truppenverbände. Auch das Medical department hat hier ein großes Lazarett eingerichtet, das von Major (MD) Susan Summers geführt wird.
Nachdem der Zug in Fort Worth angekommen war, hatte Claudine beim Patientenabtransport am Waggon geholfen. Sie war sehr müde, denn die Fahrt, auch wenn sie ohne wirklich größere Vorkommnisse verlaufen war, wenn man mal von dem Durchbrechen der Frontlinie absah, hatte allen Reisenden nervlich viel abverlangt.
Die Schmerzen im Knie waren schnell abgeklungen und nachdem sie sich auf Befehl von Captain Grant stärker geschont hatte, war es auch wieder abgeschwollen. In den Nächten hatte sie sehr schlecht geschlafen. Nacht für Nacht träumte sie von den schrecklichen Erlebnissen im Gefängnis. Immer und immer wieder sah sie sich die Kehle des dreckigen Frauenkäufers mit dem entwendeten Skalpell aufschlitzen und wie Colonel Mc Allister dafür halb tot geschlagen und ausgepeitscht wurde und wachte mit feuchten Augen auf. Hatte sie geschrien, hatte sie laut geweint? Aber jedes Mal, wenn sie sich nach dem Erwachen umgesehen hatte, schien niemand ihren unruhigen Schlaf wahr genommen zu haben. So kam es, dass sich Claudine Nacht um Nacht bemüht hatte, nicht ein zu schlafen oder wenigstens so wenig wie möglich zu schlafen.
Tagsüber hatte sie versucht, ihre Arbeit so gut es ging zu erledigen. Sie kümmerte sich fürsorglich um alle leichter Verletzten. Hatte immer ein aufmunterndes Wort und ein offenes Ohr für die Sorgen und Ängste, wobei sie oft die Hand des Gesprächpartner hielt oder ihre Hand beruhigend auf einer Schulter liegen lies. Miss Ward war ihr sehr hilfreich zur Hand gegangen und so war aus ihnen ein gut zusammen arbeitendes Team geworden. Die Versorgung der wenigen schwerer Verwundeten, zu denen auch der Colonel gehörte, hatten zum Glück Captain Grant und Patrick übernommen. Sie hätte es nicht ertragen, Tag um Tag seine Verletzungen zu kontrollieren und die durchgenässten Verbände auf dem Rücken zu wechseln. Der dazugekommen Lieutenant Deveraux hatte sich Aufgrund ihrer eigenen Verletzungen auch noch schonen müssen.
Jetzt war sie, nachdem der letzte Patient abtransportiert war, mit ihren wenigen Habseligekeiten auf dem Weg zum Lazarettbereich, um sich dort zu melden und um die Zuweisung eines Quartiers zu bitten. Wie überascht war sie, als sie im Abgeteilten Bereich der Lazarettleitung vor Major Summers stand. Mit aufrichtiger Freude sagte sie:"Major Summers, isch bin glücklisch sie gesund und munter wieder zu sehen.", wobei sie glatt das Salutieren vergaß.
Major Susan Summers war nun schon seit einigen Tagen in Forth Worth und hatte in dieser Zeit hunderte von Patienten kommen und gehen sehen. Zumindest war es ihr so vorgekommen. Sobald sie keine Patienten zu versorgen hatte und sich ihrer anderen administrativen Pflichten entledigen konnte, war sie in die Lager gegangen, um dort die hygienischen Gegebenheiten zu kontrollieren. Zumindest das Trinkwasser sollte ohne jeden Zweifel rein sein. Darauf legte sie immer schon großen Wert. Leider waren die befehlshabenden Offiziere nicht immer ihrer Meinung, was sich jedoch mit einem "freundlichen" Gespräch ändern ließ.
Nun versuchte Susan schon seit einer halben Stunde eine Liste zu verstehen, die jemand, der anscheinend gerade erst vor einer Woche das Schreiben und bis dato noch nicht das Denken erlernt hatte, angefertigt haben mußte. "Das kann doch nicht so schwer sein, fest zu halten, welcher Arzt, Steward und welche Schwester wann hier angekommen und abgefahren ist. So unterschreib ich das auf keinen Fall", grummelte sie genervt, als sie vom Eintreten Claudines unterbrochen wurde.
Major Summers sah auf und innerhalb weniger Sekunden glätteten sich die Falten auf ihrer Stirn. "Steward Roquefort. Sie schickt der Himmel. Gut, dass Sie es doch noch geschafft haben. Wir haben uns große Sorgen um Sie alle gemacht. Setzen Sie sich. Wie geht es dem Knie?"
Susan stand auf und gab Claudine die Hand, dann bugsierte sie sie auf einen Stuhl. Sie schien wirklich froh zu sein, eines ihrer "Schäfchen" wieder gefunden zu haben.
"Sie sehen müde aus, ich lasse Ihnen gleich ein Bett zuteilen und etwas zu essen bringen. Aber nicht, bevor Sie mich auf den neusten Stand gebracht haben. Was ist mit Lt. Murphy? Ist er nicht bei Ihnen gewesen", fragte Susan besorgt.
__________________________ Major (MD) Susan Summers
Überwältigt von der Freude darüber, dass Major Summer es geschafft hatte zu entkommen, ließ Claudine sich wiederspruchslos auf den Stuhl bugsieren. Erschöpft, aber ohne große Probleme ließ sie sich nieder und bekam nur die zweite Hälfte von Major Summers Fragen mit. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie reagierte und Antwortete:"Mir geht es gut, es war nur ein bisschen viel in den letzten Tagen. Patrick", Claudine stockte kurz," Lieutenant Murphy auch. Er müsste bald hier sein. Er klärt zusammen mit Captain Grant noch ein zwei Dinge."
Susan stutzte. Hatte der Steward wirklich gerade Grant gesagt? Sollte das möglich sein? Susan hatte in den letzten Tagen des öfteren versucht, eine Bestätigung dafür zu bekommen, dass Grant gefallen war, doch nie eine erhalten, was sie aber nicht weiter verwunderte in der Hektik, die durch die Flucht entstanden war. Vermutlich würde es noch Wochen oder sogar Monate dauern, bis der wahre Verbleib aller vermißten Personen geklärt war. Bis heute war ja noch nicht einmal klar, wie viele Personen und wer als vermißt galt. Den Brief an die Familie von Grant hatte sie noch in der Schublade liegen. Sie hatte sich bisher geweigert, ihn abzuschicken.
Oder hatte Steward Roquefort in ihrer Erschöpfung nur die gewohnten Namen genannt? Susan mußte Gewißheit haben.
"Steward Roquefort", begann sie ganz sachte, "ist Ihnen bewußt, dass Sie gerade sagten, dass Lt. Murphy gemeinsam mit Captain Grant unterwegs ist?"
__________________________ Major (MD) Susan Summers
Claudine schaute Major Summers verdutzt an, als diese ihre Aussage hinterfragte. Dann aber wurde ihr bewusst, dass Major Summers mit großer Wahrscheinlichkeit noch nichts von Grants Überleben gehört hatte. "Yes, Mam das ist mir bewusst und es hat seine Rischtigkeit. Captain Grant tauchte zusammen mit Monsieur Purcell im Gefangenenlager auf. Er hat eine schlescht heilende Schußwunde nah am Herzen und zusätzschlisch hatten ihn diese Crétins auch noch zusammengeschlagen. Aber so weit isch es sagen kann, geht es ihm den Umständen entspreschend gut. Lieutenant Murphy hat sisch um ihn gekümmert und kann ihnen einen besseren Berischt über seinen Gesundheitszustand geben, Mam."
Susan lächelte hocherfreut. Na, dann hab ich ja doch noch eine Chance dem alten Metzger Manieren beizubiegen, dachte sie.
"Hervorragend. Sicherlich haben Sie ihm schon mitgeteilt, dass Ihr Artikel veröffentlicht wurde. Sein Exemplar der Jahresausgabe liegt hier in meinem Schreibtisch für ihn bereit.
Purcell sagt mir rein gar nichts. Wie auch immer.
Kommen wir zu Ihrem Knie, Steward. Haben Sie weitere Fortschritte gemacht?"
__________________________ Major (MD) Susan Summers
"Comment? Nein, isch habe ihm das noch nischt mitgeteilt. Ehrlisch gesagt, hatte isch meinen Kopf ganz woanders. Außerdem ist meine Veröffentlischung zusammen mit dem Geld verschwunden, deswegen habe isch auf der Reise auch nischt daran denken können. Es würde misch nischt wundern, wenn die Veröffentlischung in irgendeinem Lageffeuer gelandet ist.", antwortete Claudine traurig und es klang fast so, als würde sie sich für einen durch Unachtsamkeit begangenen schlimmen Fehler entschuldigen wollen.
"Monsieur Purcell ist der Bruder von Mrs. Lacy." , Claudine stockte. Bilder der extrem blassen und völlig abwesenden Mrs Lacy und des blutüberströmten und zerfetzten Rückens des Colonels schossen durch ihren Kopf, "Sie ist die Verlobte von Colonel Mc Allister." Endete sie etwas leiser.
Froh darüber, dass der Major das Thema wechselte sagte sie: "Dem Knie geht es ganz gut. Bei stärkerer Belastung schwillt es noch immer etwas an, wird zudem etwas warm und es schmerzt dann auch ein wenig, aber bei der entspreschenden Schonung erholt es sisch auch wieder ganz gut. An der Beugungsfähigkeit hat sisch allerdings nischts mehr getan." Das alles klang so, als würde Claudine über einen anderen Verletzten und seinen Fortschritt berichten
"Ich bin mir sicher, dass wir nach dem Krieg ein weiteres Exemplar besorgen können. So lange werden Sie mit meinem vorlieb nehmen müssen. Sicherlich ist das sehr ärgerlich, aber ich bin fürs Erste froh, Sie wohlbehalten hier zu haben. Denken Sie nicht an solche Nebensächlichkeiten."
Susan erhob sich müde aus dem Schreibtischstuhl.
"Na dann lassen Sie mal sehen", sagte sie routiniert, testete die Beugung des Knies, begutachtete die Schwellung und den Zustand der Narben und diskutierte dabei jede Einzelheit mit der jungen Medizinerin.
Letztlich schloss sie ihre Untersuchung mit: "Ein wenig mehr Schonung könnte Ihnen nicht schaden. Ich würde sagen, die nächsten Tage legen Sie Ihr Knie hoch, dann sehen wir mal weiter. Lassen Sie sich gleich noch einen Salbenverband anlegen.
Gibt es sonst noch etwas wichtiges zu berichten?"
__________________________ Major (MD) Susan Summers
Julie bertat das Lazarettzelt und blickte sich um. Sie sah Hospital Steward Roquefort, die sie bereits im Zug hatte kennenlernen dürfen, mit einem ihr unbekannten Major des Medical Department sprechen. Sie wollte die Beiden eigentlich nicht in ihrem Gespräch stören, jedoch hatte sie momentan nicht die Zeit zu warten, bis sie ihren Plausch beendet hatten. Sie räusperte sich um die Aufmerksamkeit der Beiden auf sich zu ziehen und salutierte vor dem Major:
"1st Lieutenant Deveraux meldet sich wie befohlen zum Fäden ziehen, Mam."
Der "Kratzer" an der Außenseite ihres rechten Knies war doch ein wenig größer ausgefallen, als sie anfangs bereit gewesen war zuzugeben. Auf dem langen Fußmarsch war die Wunde mehrfach wieder aufgerissen, daher hatte sie bereits geahnt, dass die Wunde wohl genäht werden musste. Hospital Steward Roquefort hatte sich alle Mühe dabei gegeben und gute Arbeit geleistet, soweit sie das beurteilen konnte. Jedoch wusste sie jetzt schon, dass die Narbe auf Grund der Umstände vermutlich nicht sehr schön werden würde. Aber wen kümmerte das schon. Sie wartete kurz und fügte dann mit einem Seitenblick auf Roquefort hinzu:
"Ich kann aber auch später wiederkommen, wenn es gerade ungünstig ist."
Patrick wachte auf, er lag immer noch im Lazarett und hatte die letzten 2 Wochen fast nur geschlafen. Er öffnete die Augen und doch blieb alles dunkel. Für einen Augenblick dachte er das es Nacht wäre, aber dann hätte er doch ein paar Lichter sehen müssen. Panik überkam ihn.
Dann viel es im wieder ein, die Schlacht im Kessel. Eine Granate war direkt vor ihm hoch gegangen und er hatte in die Explosion gesehen.
Er tastete seinen Kopf ab und fühlte einen Verband, der seine Augen bedeckte.
Bin ich blind? Schoß es ihm durch den Kopf.
Die Panik wurde größer und seine Atmung schneller. Dabei spürte er einen stechenden Schmerz in der Brust.
--------------------------------------------------- Stellvertretenden Distriktkommandeur von Texas Chief of Staff
Bevor Claudine dem Major gegenbüber aufbegehren konnte, dass sie ungerne unnütz in der Gegend herum liegen oder sitzen wollte, um ihr ihrer Meinnung nach mittlerweile gut ausgeheiltes Knie zu schonen, kam 1st Lieutenant Deveraux hinzu und unterbrach ihre Unterhaltung.
Claudine schüttelte den Kopf, erhob sich vom Stuhl und antwortete: "Mais non, Lieutenant, sie stören nischt. Wir sind eigentlisch auch so gut wie fertig, nischt wahr Major Summers. Sie haben sischerlisch genügend andere Dinge zu tun und isch habe sie schon viel zu lange aufgehalten, Mam. Wenn sie gestatten werde isch mir dann jetzt den Salbenverband anlegen und mir mein Quartier zuweisen lassen. Dann kann isch sofort mit der verordneten Ruhe anfangen, Mam.". Sie war unter anderem dankbar dafür, dass sie durch die Unterbrechung von 1st Lieutenant Deveraux nicht gleich auf die letze Frage von Major Summers anworten musste, oder mal wieder trotzig gegen die Ruheverordnung aufbegehren konnte.
"Guten Tag, Lt. Deveraux, nein, bleiben Sie nur, Sie können gleich mit mir durch kommen."
Susan wendete sich noch einmal an Claudine. "Salbenverband, Essen, ein Bett zuteilen lassen, heißes Wasser bringen lassen. Außerdem schicke Ihnen gleich einen Private, der Ihnen eine saubere Uniform besorgt, bis Ihre eigene gereinigt ist. Der Privat soll Ihnen ebenfalls alle anderen Dinge besorgen, die Sie eingebüßt haben. Und wenn Sie sich frisch genug fühlen, dann melden Sie sich hier zum Dienst. So und nun: Wegtreten, Steward."
"Kommen wir nun zu Ihnen, Lt. Deveraux. Gerade angekommen?" Susan ging ein paar Meter weiter, zu einer Nische, in der ein provisorishes Behandlungszimmer aufgebaut worden war. Nachdem Julie ihr in die Nische gefolgt war, zog sie den Vorhang zu.
"Na dann wollen wir uns die Naht mal anschauen."
--------------------------------------- Gott schließt nie eine Tür, ohne eine andere zu öffnen. (Irisches Sprichwort)
"Jawohl, Mam. Ich war in dem gleichen Zug mit dem Hospital Steward Roquefort angekommen ist."
Julie hatte sich zwar bemüht eine halbwegs passable Figur abzugeben, jedoch sah man auch ihr an, was sie in den letzten Tagen erlebt hatten. Sie hatte versucht, soweit es irgendwie möglich war, die Blutflecken mehrer kleinerer Splitter, die sie jedoch glücklicherweise nur oberflächlich getroffen hatten zu entfernen. Jedoch nur mit mäßigen Erfolg. Den Riß den das größere Metallstück in ihre Hose gerissen hatte, dem sie die Verletzung an ihrem Kie zu verdanken hatte, hatte sie jedoch eher schlecht als recht geflickt. Nähen war nicht gerade ihre Stärke, aber vermutlich hätte auch die beste Näherin diese Hose nicht mehr retten können.
Sie zog das Hosenbein bis über das Knie hoch und legte so die knapp 4cm lange Naht an der Außenseite ihres Knies frei.
"Sie hat mir netterweise auch mein Knie verziert, da der Schnitt von selber nicht zusammenheilen wollte. Das ist jetzt 10 Tage her und sie hatte mir gesagt, dass die Fäden dann raus müssen."
"Isch werde ihren Anordnungen sorgfältig folgen, Mam. Major Summers, Lieutenant Deveraux." Claudine salutierte einmal und verließ die Beiden.
Langsam ging sie durch das Lazarettzelt, sie hatte es nicht besonders eilig. Sicher, sie hätte sich schon sehr gerne frisch gemacht, aber schlafen wollte sie eigentlich nicht wirklich, denn mit dem Schlaf kamen die Träume.
Vielleischt bekomme isch hier ein wenig Laudanum. Im Zug hat es gerade einmal gereischt, um den Verletzten die schlimmsten Schmerzen zu nehmen., dachte sie bei sich und begab sich auf die Suche.