Madeline seufzte erleichtert. Sie hatte schon das Schlimmste befürchtet. Aber dass die Kleine nur zahnen würde beruhigte sie etwas. Der Colonel machte einen guten Eindruck auf sie. Doch ihre Erfahrung hatte sie gelehrt, nicht zu schnell Vertrauen zu fassen. Sie wollte weiterhin vorsichtig sein.
„Ich danke ihnen, Sir! Die Kinder brauchen dringend Schlaf und Essen. Wir sind die ganze Nacht hindurch gefahren.“ Zögerlich lächelnd nahm sie dem Colonel Beverly aus den Armen. „Die Kleine ist das jüngste aller Kinder aus dem Heim gewesen. Sie sagten es gibt hier ein Waisenhaus? Dann wird es das Klügste sein, ich bringe die Kinder dort hin. Vielleicht ist es mir ja möglich mich dort etwas zu erholen von den Strapazen der letzten Tage.“
Liebevoll blickte sie auf das Baby in ihrem Arm herab, lächelte und wandte sich wieder an den Colonel: „ Nochmals vielen lieben Dank, Sir. Ich lasse die Kleine bei ihnen, bis ich die anderen Kinder ins Waisenhaus gebracht habe. Dann schaue ich gerne wieder selbst nach ihr.“
Die kleine Beverly hatte scheinbar Gefallen an Colonel Rush gefunden. Sie versuchte immer wieder nach ihm zu greifen. Madeline gab schließlich nach und gab dem Mann das Baby in die Arme.
Miss Higginbottom blickte sich noch ein letztes Mal im Zelt um. Wo soll die Kleine nur liegen? Ihr Blick streifte einen Mann, dem gerade aufgeholfen wurde. Scheinbar war er orientierungslos. Um seinen Kopf zog sich ein Verband. Madeline schauerte innerlich. Was mag ihm nur passiert sein? Oh, Gott warum das alles schon wieder?
Colonel Rush nahm Beverly wieder auf den Arm und schaukelte das Kind leicht.
"Machen Sie sich keine Sorgen um Beverly, sie wird innerhalb kürzester Zeit der Liebling aller Schwestern werden, würde ich wetten. Kommen Sie, ich bringe Sie zu den anderen Kindern und gebe Ihnen jemanden mit, der Sie zum Waisenhaus bringt."
Colonel Rush führte Madeline aus dem Behandlungsbereich heraus und brachte sie in ein Zeltabteil, welches dem medizinischen Personal offensichtlich als Aufenthalts- und Essensraum diente. In ein paar Decken gewickelt lagen dort die restlichen Kinder in tiefem Schlaf, auf dem Tisch standen noch die Teller mit den Resten einer Mahlzeit. Die Kinder mußten direkt nach dem Essen eingeschlafen sein. Mitten unter den Kindern saß eine Krankenschwester und bewachte argwöhnisch den Schlaf der Kleinen.
Als Colonel Rush und Madeleine hereinkamen, führte sie einen Zeigefinger an die Lippen und bedeutete ihnen leise zu sein. Colonel Rush reichte ihr Beverly und bedeutete ihr, sich um das Baby zu kümmern. Beverly war einen kurzen Moment unzufrieden, bis sie die Taschenuhr der Schwester entdeckte, die sie sich mit einer Kette an die Bluse geheftet hatte.
"Bringen wir die Kinder raus zum Wagen", flüsterte er Madeleine zu und nahm eines der Kinder vorsichtig auf den Arm, um es nicht zu wecken. Er wies die Schwester an, dass man die anderen Kinder auch zum Wagen bringen solle und sie eilte mit dem Baby auf dem Arm nach nebenan, um einen Steward heranzuholen.
Colonel Rush ging mit dem Kind auf dem Arm und Madeleine im Schlepptau hinaus zum Wagen. Draussen winkte er einen Private heran und gab ihm genaue Anweisungen, wohin er die Kutsche fahren sollte.
Colonel (MD) Lassiter Rush Surgeon General des CS Medical Department Garnisionsarzt von Laredo
George stieg mühsam vom Pferd, sein Kopf dröhnte immer noch.
„Was meinst du mit „Höhle des Löwen“? Das war keine einfache Kneipenschlägerei! Die Vier wollten eine junge Frau, die in dem Zelt nach ein paar Dollar bettelte, vergewaltigen. Da musste ich doch was machen!? Mein Fehler war das ich die Schweine nicht direkt umgelegt habe.“
George sah zum Lazarett und dann wieder Sam an.
„Ich brauche keinen Arzt, es reicht wenn ich mir das Blut aus den Haaren waschen kann.“
Dann viel im wieder Sams Befehl ein, um so einen handelte es sich ohne jeden Zweifel. Er nahm seinen Colt aus dem Holster und reichte ihn Sam.
Noch während sie die schlafenden Kinder zurück auf die Kutsche legten, beobachtete Madeline wie sich zwei Männer dem Lazarett näherten. Einer schien ihr irgendwie bekannt vorzukommen. Sie wollte nicht hinstarren und konzentrierte sich darauf dass alle Kinder behutsam behandelt wurden.
Der Private hatte bereits auf dem Kutschbock platz genommen und wartete darauf das er losfahren konnte.
Madeline wandte sich an den Colonel, bevor sie selbst auf die Kutsche stieg: „ Sir, ich bin ihnen zu Dank verpflichtet. Wenn die Kinder im Waisenhaus sind, mache ich mich auf den Weg zurück hier her. Es ist sehr nett von ihnen dass sie Beverly noch eine Weile beobachten wollen. Wenn ich mich irgendwie nützlich machen kann, dann scheuen sie nicht, mich darum zu bitten.“
Bevor der Private losfuhr warf Miss Higginbottom noch einmal einen Blick auf die beiden Männer. Sie hatten ein paar Worte ausgetauscht und einer gab seine Waffe an den Anderen ab. Madeline schaute genauer hin und plötzlich erkannte sie, trotz des Blutes den Mann.
Colonel Rusch gab Madeleine einen formvollendeten Handkuss.
"Mam, Sie schulden mir nichts. Schlafen Sie sich erst einmal aus, dann kommen Sie wieder und wir schauen weiter. Denken Sie mal ein paar Stunden an sich, Sie müssen bei Kräften bleiben. Und die Kinder werden verängstigt sein, wenn Sie nicht bei ihnen sind, wenn sie erwachen."
Er wollte ihr eben auf die Kutsche helfen, als sie den Namen eines Mannes rief. Irritiert drehte er sich herum.
Colonel (MD) Lassiter Rush Surgeon General des CS Medical Department Garnisionsarzt von Laredo
Claudine sah gerade noch, wie ein Südstaatenarzt zusammen mit einer ihr unbekannten Frau einige schlafende Kinder aus dem Lazarettzelt trug. Sie wunderte sich. Es war alles so ruhig. Keine Schwestern, die in Eile durchs Zelt huschten, keine allgemeine Aufruhr. Sollte sie sich die Schüsse tatsächlich nur eingebildet haben? Das kommt von den Anstrengungen der letzten Tage, dachte sie sich, isch sollte wieder zurück in mein Bett gehen, wie Major Summers es angeordnet hat, die Tablette nehmen und mit Glück schlafe isch bis zum näschten Tag dursch. Sie wollte gerade kehrt machen und zurück zu ihrer Schlafstätte gehen, da sah sie aus den Augenwinkeln vor dem Zelt eine ihr bekannte Person stehen. Claudines Magen zog sich zusammen und sie wurde bleich im Gesicht. Wie versteinert stand sie für einige Sekunden mitten im Gang des Zeltes, bis ein heftiger Ruck durch ihren Körper ging. Planlos wanderte ihr Blick umher, dann drehte sie sich einfach um und ging schnurstracks auf einen abgeteilten Bereich zu und verschwand hinter dem Vorhang. Schwer atmend blieb sie stehen und ein zittern lief durch ihren Körper.
Warum muss er sisch immer eine Kugel einfangen, isch ertrage es nischt, wenn isch ihn jetzt behandeln muss, gingen ihre Gedanken panisch durch den Kopf. Auf die Idee, dass Colonel Mc Allister vielleicht gar nicht verletzt war, schließlich stand er ja und wurde nicht auf einer Trage hereingebracht, oder das es genügend anderes medizinisches Personal gab, dass eine Behandlung hätte durchführen können, kam Claudine in ihrem übermüdeten und völlig aufgelösten Zustand nicht.
Das Zittern hörte schnell wieder auf und auch Claudines Herzschlag verlangsamte sich wieder. Erleichtert, dass sie eine Begegnung mit Colonel Mc Allister hatte verhindern können, lehnte sie sich zurück... Und fiel rückwärts durch das Laken. Im Fallen suchte sie mit rudernden Armen vergeblich nach Halt und landete genau vor Mc Allisters Füße.
Wie eine Schildkröte, die man auf den Rücken gedreht hatte, lag sie vor ihm und rang nach Luft, denn der Aufprall auf den flachen Rücken nahm ihr den Atem. Zuerst starrte Claudine ihn aus verwirrten und dann, als sie erkannte, wem sie vor die Füße gefallen war, mit erschrocken Augen an.
Claudine hatte mit einer kleinen, fast unmerklichen Verzögerung nach der angebotenen Hand von Colonel Mc Allister gegriffen und ließ sie etwas schneller als nötig wieder los. Auf seinen humorvollen, stichelnden Spruch, brachte sie nur ein müdes Lächeln als Antwort zustande. Noch vor der Geschichte im Gefängnis, hätte sie ohne zu Zögern mit einem Kommentar zurück geschossen, aber ihre Schuldgefühle und auch die Müdigkeit vergruben ihre Schlagfertigkeit tief unter sich.
Pflichtbewusst salutierte sie und antwortete, nachdem sie einige tiefe Atemzüge gemacht hatte:"Merci beaucoup, Sir." Dann befreite sie durch Abklopfen ihre Kleidung kurz von imaginärem Staub. "Danke der Nachfrage, aber mir geht es gut. Isch bin nur etwas müde und war gerade auf dem Weg in mein Bett und muss dann wohl über etwas gestolpert sein." Nach einigem Zögern fragte sie ihn noch: "Kann isch ihnen irgendwie behilflisch sein, Sir?"
Sam musterte sie kritisch, aber wollte nicht weiter nachfragen.
"Das können Sie vielleicht... Ich habe noch einiges vor heute und muß dafür möglichst uneingeschränkt sein.... wenn Sie irgendeine Pille hätten um mir das Leben für die nächsten paar Stunden zu erleichtern wäre ich Ihnen sehr verbunden...."
Sam fiel auf, daß noch kein Verwundeter hergebracht wurde.
"Achja, Sie werden noch zwei Schußwunden hereinbekommen...aber keine Sorge, ich habe gut gezielt, nur vor dem Zivilisten nehmen Sie sich bitte in Acht....der Kerl scheint zu Allem fähig." meinte er dann
"Aber legen Sie sich erstmal hin und ruhen sich aus, sollen Ihre Kameraden sich drum kümmern..."
Er sah in ihre müden Augen.
"Es tut mir leid, daß ich Ihnen und den Anderen dieses Gesicht des Krieges nicht ersparen konnte..." meinte er, als er diese müde Leere in ihren Augen sah
Sam kannte diesen Ausdruck. Er hatte viele gute Soldaten so gesehen nach Gettysburg oder auch Fredericksburg, die mit dem erlebten nicht klar gekommen sind.
"Und ich danke Ihnen, daß Sie mir schon wieder einmal das Leben gerettet haben." meinte er dann aufmunternd
"Aber ist ja jetzt auch egal.... geben Sie mir einfach ne Pille und ich bin wieder verschwunden. Mein Erholungsurlaub ist vorbei."
Claudine sah den Colonel jetzt vollends verwirrt an. "Sir, zwei Schußwunden sagen sie? Einer davon ein gefährlischer Zivilist... Isch werde diese Information sofort weiter geben, Sir."
Jetzt bedankt er sisch auch noch dafür, dass isch ihm sein Leben gerettet hätte, aber meine Unüberlegtheit hätte es ihm beinahe gekostet, dachte sie schmerzhaft und bei dem Gedanken, dass er jetzt immernoch dermaßen Schmerzen hatte, dass er ein Medikament wünschte, um den Tag überstehen zu können, wurde es ihr innerlich übel, worauf ihr Gesicht wieder käsig wurde. "Es ist meine Aufgabe Leben zu retten.", antwortete sie nur knapp und mit gebrochener Stimme, die klang, als würde sie ihr gleich versagen. Claudine räusperte sich mehrfach, bevor sie weitersprach. "Isch habe hier keine Befugnis, ihnen ohne ärztlische Anweisung ein Medikament zu verabreischen, Sir. Da müssen sie sisch an einen zuständigen Arzt wenden. Vielleischt hat Major Summers Zeit für sie, oder der Arzt, der gerade draußen vor dem Zelt steht. Soll isch misch darum kümmern, Sir?", versuchte sie sich aus der für sie unangenehmen Situation zu winden.
Madeline Higginbottom zog ihre Hand aus der des Colonel`s nach dem Handkuss. Es war eine Weile her dass sie solche Aufmerksamkeit bekam. Und das war durchaus auch so beabsichtigt. Sie spürte wie die Müdigkeit wieder in ihr aufkam. Sie kämpfte dagegen an. Wie so oft. Jetzt hieß es stark sein, für die Kinder. Der Colonel hatte Recht. Sie musste irgendwann mal wieder an sich denken. Schlaf wäre da genau das Richtige. Essen wäre auch nicht schlecht, aber all das konnte warten. Musste warten. Bis das sie die Kinder wirklich in Sicherheit wusste.
Miss Higginbottom war sich sicher gewesen das es George Purcell war, der da blutend vorm Lazarett stand. Diese Augen würde sie in ihrem Leben nicht vergessen. Sie hat als kleines Mädchen, als sie vorübergehend bei den Purcells unterkam, zu ihm aufgesehen. Er war wie ein Bruder zu ihr gewesen. Er musste es einfach sein.
Zögerlich ging sie ein paar Schritte auf den Mann zu. Wieso erkennt er mich nicht mehr? [/i] „Sir, ich bin Madeline Higginbottom.“