Ann-Marie kam mit einer großen Reisetasche unter dem Arm die hölzerne Treppe hinuter. "Ah, es haben also doch noch nicht alle das Haus verlassen" meinte sie gut gelaunt, als sie die letzten Stufen hinunter kam und die Damen am Ende der Treppe erblickte. Sie nickte allen Anwesenden freundlich zu und stellte dann ihre Tasche auf dem Fußboden ab. "Es war so still, dass ich schon befürchtet hatte Caitlin und ich wären vielleicht die Letzten."
"Nay, wirklich, es war wundervoll. Sie sollten sich einen Wechsel ihres Postens überlegen." meinte Caitlin verschmitzt. "Obschon ich vermute, dass Sie den Herren auch so Beine zu machen verstehen." Ihre Augen funkelten die Französin an. Sie hatte sie bereits mit dem Akzent ins Herz geschlossen, der so an den ihrer Mutter erinnerte. Und auch die Art Mme Roqueforts, entschlossen, aber freundlich, ähnelte Maman. "Mich können Sie jedenfalls jederzeit dazurechnen, sollten Sie je noch einmal herangezogen werden." Ihre Füße hatten wieder unwirkürlich zu wippen begonnen, und Caitlìn hatte einige Mühe, ihnen gedanklich etwas mehr Disziplin zu verordnen. Erst jetzt bemerkte sie ihre Cousine, die mit weitaus mehr Eleganz und Würde als sie selber herabgeschritten gekommen war, und schenkte ihr ein freundliches Lächeln. Ihr Geist währenddessen arbeitete weiter fieberhaft daran, noch den genauen Verbleib der Kavallerie zu erfahren.
Claudine begrüßte Mrs Foster mit einem Lächeln. Sie dachte noch einmal an die Dose mit den leckeren Keksen und nahm sich vor, ihr im nächsten Jahr, sollten sie sich denn zum Weihnachtsfest wiedersehen, auch eine Kleinigkeit mit zu bringen. "Non, es sieht nischt so aus Mrs. Foster."
An Mrs MacRae gewandt sagte sie: "Sie sind nischt die Erste, die mir das vorschlägt Mam, aber auf dem Terrain der Medizin fühle isch misch doch bedeutend wohler." Bei der Aussage übers Beine machen musste Claudine kurz aber herzlich lachen und erwiederte: "Naja, sagen wir es doch einfach mal so: so manscher ganzer Kerl, und habe er zuvor noch so stark gejammert, ist ziemlisch schnell wieder auf den Beinen wenn sie einen nur mit einer Spritze ankommen sehen." Dann wurde sie wieder ernster "Und einige sind leider nischt mehr in der Lage, alleine gehend meinen Tisch zu verlassen…" Es entstand eine kurze Pause. " Manschmal ist es einfach pures Glück, dass sie lebend vom Tisch kommen." So wie bei Baker, dachte sie im stillen.
"Aber genug davon. Wo werden sie das Neujahrsfest begehen?", versuchte Claudine das Gespräch von den unschönem Thema weg zu bringen.
"Oh, Caitlin und ich werden zurück nach New Orleans gehen und Silvester dort mit meinem Mann verbringen. Wir haben uns dort ein kleines Haus gemietet. Er ist schon dort und besucht seinen Vater, wie ich ja schon erzählt hatte. Er bekam einen Brief in dem stand, dass sein Vater krank sei und ihn zu sehe wünsche. Darum bin ich ja mit Caitlin alleine her gekommen."
Ann-Marie hoffte die Beiden hatten sich wieder vertragen und dem alten Herren ging es besser. Sie hatte ihn nie kennen gelernt, weil er sich mit Daniel vor langer Zeit zerstritten hatte. Nach Daniels Schilderungen schien er ein schwieriger Mensch zu sein. Worum es bei dem Streit gegangen war, hatte er ihr nie erzählt, aber er hatte ihr gesagt, dass er nie wieder bereit wäre auch nur eine Nacht unter dessen Dach zu verbringen...
"New Orleans soll eine bemerkenswerte Stadt sein, ich freue mich. Sie ist mittlerweile doch recht sicher, keine Front mehr, wie ich höre. Wohin müssen die Herren und Damen von gestern in Uniformen denn?" Caitlín bemühte sich um bewusste Nonchalance, den Kopf schief gelegt, der Ton beiläufig. Sie verfluchte dabei ihr Herz, was ausgerechnet jetzt die Lautstärke einer Marschkapelle annehmen musste mit seinem "bu-bumm, bu-bumm"..
"Oh, New Orleans.", entfuhr es Claudine. "Oui, New Orleans ist eine wirklisch bemerkenswerte Stadt. Meine Eltern und Geschwister leben dort." Sie stockte. "Jedenfalls taten sie es bis die Mexicaner kamen. Weit über ein Jahr lang habe isch sie nischt mehr gesehen. Et oui, die Front hat sisch von der Stadt entfernt, insoweit isch informiert bin." Claudine dachte daran, dass sie unbedingt wieder ihrer Familie schreiben musste, um zu wissen wie es ihr ging und ihnen zu sagen, dass es ihr gut ging. Außerdem hatte sie sich noch nicht für die Geburtstagsgrüße bedankt.
"Es kommt darauf an, welsche der Damen und Herren sie meinen Mrs MacRae.", antwortete sie einige Zeit später, in der sie an ihre Familie gedacht hatte. "Einige des Medical Departments wurden zur Miliz vesetzt, Einige gehen an die Front nach Arkansas und wiederum ein anderer Teil, zu dem auch isch gehöre, wird zur Front der 2nd NKS-Army verlegt."
Herrlich. Wie sollte man denn nun auch nur ansatzweise unauffällig fragen können? Wohin geht denn X oder Y war wohl kaum die richtige Art. "Die Front der 2cnd? Wo befindet die sich denn gerade? Und mit wem werden sie reisen?" Einfache Sache - logische Schlussfolgerung: Selbst wenn derjenige welche nicht bei der Aufzählung dabei sein sollte, wüsste sie somit, dass er nach Arkansas gegangen wäre. Und wenn er dabei wäre, hätte sie gleich auch die Marschrichtung. Vielleicht doch einmal ein etwas... ausgedehnterer Ritt...
"Wo genau Captain Grant, Lieutenant Murphy, Mrs Lacy und isch nun an der Front eingesetzt werden kann isch gar nischt mit Sischerheit sagen Mam. Isch gehe dahin, wohin man misch versetzt. Was ich weiß ist, dass wir General Mc Allister und seinen Truppen folgen. Colonel O'Hara geht wohl an die Front in Arkansas, jedenfalls hörte isch das.", antwortete Claudine mit einem leichten Schulterzucken. "Wie isch jedenfalls der Karte im Mason Traveller entnehmen konnte, sind die Konföderierten Truppen haupsäschlisch östlisch des Mississippi stationiert. Aber wie genau nun diese Angaben sind, kann ich ihnen nicht sagen. Es tut mir leid, dass isch ihnen nichts genaueres sagen kann."
"Miss Roquefort, wenn ihre Familie dort lebt, vielleicht soll ich Ihnen eine Nachricht von Ihnen überbringen? Vielleicht einen Brief? Die Stadt ist zwar groß und an vielen Stellen leider auch zerstört, besonders in Hafennähe, aber ich denke, dass ich das dennoch bewerkstelligen können sollte, wenn sie noch dort sind."
Während die Damen über dies und das schwatzten, war die Kutsche auf den Hof gefahren, die Victoria geordert hatte und sie begann mit dem Kutscher zusammen das Gepäck aufzuladen. Sie konnte bei den Gesprächsthemen der Frauen eh nicht mitreden, da sie weder Verwandtschaft in New Orleans hatte noch sich mit guten oder schlechten Tänzern auskannte.
Claudine dachte eine kurze Zeit über Mrs Fosters Angebot nach. "Das wäre wirklisch zu nett von ihnen. Sie haben mir vor kurzem geschrieben, dass sie wieder auf der Heimreise seien, jetzt da die Front nischt mehr vor der Stadt verläuft. Aber fahren sie denn nischt gleisch ab? Isch müsste nämlisch erst erst noch einen Brief aufsetzen.", antwortete sie mit leuchtenden Augen. Claudine hoffte, dass sich noch genügend Zeit finden würde um einen Brief, wenn auch nur einen Kurzen, auf zu setzen.
"Ich glaube, auf eine Stunde kommt es hier doch nicht wirklich an", meinte sie freundlich lächelnd, als sie das Leuchten in Claudines Augen sah. "Wir haben ohnehin noch nicht alles runtergetragen und unsere Kutsche kann ich draussen auch noch nirgends entdecken" sagte sie und spähte dabei durch die Türe. "Zudem fände ich es eigentlich ganz nett, wenn ich vor der Abfahrt noch einen Tee trinken könnte. Wenn Sie also jetzt noch etwas schreiben möchten, könnten Sie das gerne noch tun."
Claudine blickte kurz zu Mrs Foster und sagte: "Isch werde misch beeilen, Mam. Denn auch wenn sie warten würden, so muss isch in dem Augenblick aufbreschen wenn Captain Grant dazu aufruft und isch möschte doch keinen halbfertigen Brief verschicken." Claudines Stimme überschlug sich fast vor Freude. Dann sah sie kurz zu den anderen anwesenden Damen: "Wenn sie misch bitte entschuldigen würden, Mesdames.", und ging zügig, ja beinahe hüpfend ins Haus.
Im Kaminzimmer setzte sie sich an einen Tisch, kramte Papier, Feder und Tinte aus ihrem Koffer und begann mit schnellen Schwüngen einen Brief auf zu setzen.
Lieber Jesus - nein, das hatte nicht geholfen. Ach, was sollte es, es war sicher in Erfahrung zu bringen. Vermutlich war es mittlerweile sowieso zu spät für ein Winken am Bahnhof. Die Korrespondenz musste wohl reichen. Ein tiefer Seufzer entrang sich dem schottischen Lerchenkehlchen. Noch ehe sich Ann wundern konnte, fügte sie hastig an: "Ich werde das hier alles vermissen. Es war wie ein Traum." Zurück aus ihrer Traumwelt, die hauptsächlich mit einem nur ganz leicht verwundeten, aber deswegen nicht kampffähigen Soldaten ohne Oberbekleidung zu tun gehabt hatten, schenkte sie ihrer Umwelt auch wieder die nötige Aufmerksamkeit.
"Das war außerordentlich lieb und sorgsam von Dir, Madame Roquefort das Angebot zu machen, Ann." lobte sie denn auch ihre hilfsbereite Cousine. "Aber sag an, was machst Du denn eigentlich so in New Orleans? Das Geschäft wieder aufbauen? Kann ich irgendwie helfen?" Nicht, dass ihre kaufmännische Ader so furchtbar ausgeprägt wäre, und der Wunsch, eine solche zu besitzen doch eher mäßig. Aber es wäre unhöflich, es nicht zumindest angeboten zu haben. Zudem wollte sie Ann ja auch wirklich helfen. Und wenn sie dort nicht gleich eine Stelle in einer Redaktion finden würde, wäre eine andere Tätigkeit unerlässlich, um Langeweile und vor allem die erste, nagende Sorge zu vertreiben, die ihr sprunghaftes Herz ungewohnt sicher spürte.
"Nunja, vielleicht. Zunächst einmal würde ich jedoch noch abwarten, wie sich dieser Krieg weiterentwickelt" antwortete sie zögernd. "Ich möchte ungern einen Laden aufbauen, nur damit er ein paar Wochen später von Mexikanern wieder in Kleinholz verwandelt wird." Sie verzog unglücklich das Gesicht.
"Schließlich verläuft die aktuelle Front nicht so weit weg von New Orleans. Für meinen Geschmack zumindest nicht weit genug." Sie seufzte.
"Naja, Augustas Vermächtnis an mich war ausreichend groß, damit wir uns keine Sorgen machen müssen, dass wir irgendwann kein Geld mehr haben. Darum können wir uns da etwas Zeit lassen und erst einmal die weiteren Entwicklungen beobachten." Sie dachte kurz nach.
"Vieles in der Stadt ist zerstört worden. Viele Familien haben alles verloren und wissen nicht, wie und wo sie als nächstes an eine warme Mahlzeit kommen sollen. Ich denke, dass es in diesem Bereich viel zu tun gibt und dass ich mich da gerne angagieren würde. Schließlich ist diese Stadt meine Heimat und einige der Leute, die jetzt nichts mehr haben, waren vielleicht einmal meine Nachbarn."