Eindringlich mahnte Caitlìns schlechtes Gewissen sie, dass diese ganzen notleidenden Leute, die Ann-Marie dort gerade in ihrer Großzügigkeit versorgen und bekochen wollte, auch in Schottland und England zu finden waren - ganz ohne Krieg. Sie war mehr als einmal durch die Elendsviertel der großen Städte gegangen. Besonders der Moloch London, wo strahlendee Empire, Gesellschaften und Königin auf zunehmenden Schmutz, Elend und Arbeitern, die wie Sklaven gehalten wurden, kollidierten, war ein Beispiel des merkwürdigen Moralempfindens ihrer Epoche.
Seltsam, aber genau in dem Moment, wo ihre Cousine ein durchweg edles Ansinnen bewies, kochte in der umtriebigen Schottin einmal mehr die bittere Erkenntnis hoch, dass Armut und Elend durch den Krieg weitaus mehr Beachtung fanden als das alltägliche Dahinsiechen in ihrem Heimatland. Aber was tun? Denen, die so liebevoll waren, etwas zu tun, nun einen Vorwurf machen, dass sie nicht mehr taten? Oder denen, die in diesen Zeiten alles genossen? Dann hätte sie sich genauso selber in den Hintern treten können - ihr Amusement war während des Balls deutlich vor allem anderen gekommen.
Etwas missmutig nickte sie auf den Vorschlag Anns, wünschte sich, selber zu kämpfen. Wieso nur war sie so wenig weiblich? Sollte nun nicht liebevolle Sorge um all die Leute sie bewegen? Sollte sie sich nicht vorstellen, wie es wäre, wenn jemand... Besonderes, den sie gern hatte an anderer Stelle ebenso gepflegt oder versorgt wurde? Ihr Kopf sagte ja, aber der Rest ihres wilden Charakters schrie förmlich danach, stattdessen lieber etwas zu tun, was Gewalt stoppte - mitkämpfen, aufklären, anklagen... Unmöglich, das wusste sie selber. Vor allem in einer fremden Stadt. "Kochen kann ich ja ganz ordentlich...", war dann auch ihre einzige Erwiderung. Was für ein furchtbarer Mensch sie doch war, nicht mal im Traum daran zu denken, einen Verband zu wechseln oder einen Kranken zu waschen. Außer selbstverständlich, es wäre... Aber das war keine Mildtätigkeit, das war Egoismus. Caitlìn versuchte sich in der einzigen Art der Ablenkung, die sie außer Scherzen verstand - dem Besinnen auf noch scheußlichere Dinge.
"Ja, Grandmere hat ja ihr Geld verschifft. Finde ich fein, so landet es nicht in den Hälsen irgendwelcher intriganter französischer Schleimkröten.." Uppala - Roquefort war weg, sonst hätte sie eine Menge zu erklären gehabt. Aber die Madame war sicher auch keine Freundin der ausladenden, übelwollenden ehemaligen und jetzigen Oberschicht. Sie räusperte sich trotzdem und fuht eilig fort: "Zu schade, dass sie und ihr Mann sonst keinerlei Verwandte hatten, die mehr Nationalstolz besaßen als meine Maman und die Verwandten Deiner Linie. Ich bin mir sicher, am liebsten hätte sie gesehen, wie ihre Anwesen in Arles und Nizza von ihresgleichen bewohnt würden."
Fast hätte sie die Zunge herausgestreckt. Der Adel, eigentlich entmachtet, hatte hier und dort doch noch mehr Einfluss, als man dachte. Und Ungeziefer überlebte scheinbar jede Krise. Sie musste an die Depesche schicken, die ihr Vater für sie erhalten hatte, nachdem die alte Dame gestorben war. Geld hatten sie nie erwartet, und vermutlich hätte ihr Vater, der sture Romantiker, es auch lieber an eine Stiftung zur Pflege der Proletarier gegeben, als es zu behalten. Das, was ihr aber zustand, ließ sich schwer ablehnen. Nur ignorieren. Und das gründlich.
Mit verschwitztem Gesicht tauchte Victoria wieder hinter Rachel Carrigan auf und sagte leise zu ihr: "Fertig, Ma'am, wir können los. Wo bleibt nur Ms Higginbottom?"
Verwirrt ob der Worte ihrer Cousine sah sie diese mit gerunzelter Stirn an. Hatte sie etwas Falsches gesagt? Sie beschloss zumindest nicht näher auf die letzteren Kommentare einzugehen und sagte daher nur: "Ich hatte damit nicht gemeint, dass du kochen musst. Um Himmels Willen. Du bist unser Gast. Ich hatte mir für mich überlegt, dass man etwas tun muss. Was das genau ist und wie es aussehen kann, weiß ich selber noch nicht. Vielleicht tatsächlich eine Suppenküche. Ich dachte, ich versuche vielleicht einmal mit dem Bürgermeister zu sprechen, um dann zu sehen was machbar ist, denn letztendlich kann ich das auch nicht alleine." Sie schwieg kurz. "Schließlich weiß ich auch noch, wie es sich angefühlt hat, als Daniel und ich vor unserem abgebrannten Laden standen..."
Tratschversuch abgeschmettert, dabei hätte Caitlìn den Gedanken zu ihrer Großmutter so gern einmal Luft gemacht. Stattdessen der Krieg und die Armut wieder, ihre hässliche Fratze durch die Masken damenhafter Fröhlichkeit erhebend und einfach jeden noch so zarten Versuch des Themenwechsels zerschmetternd. Wie auch anders - Ann hatte das Grauen der Schüsse, der Gemetzel und des Feuers hautnah miterlebt und wahrscheinlich vorher und nachher nicht mehr ähnlich grausame oder elende Zustände gesehen. Für einen Moment huschte Härte über das Gesicht der Schottin. Ihre Leben war vom Krieg unbeleckt, zumindest von dem gegen die Mexikaner. Es wäre aber müßig, in dieser Not an die eigene zu denken. An zwischenzeitige Armut, furchbaren Hunger, an das Barfußlaufen durch die harten Wortsplitter der feinen Damen, an die Male, die sie bei ihren ersten Versuchen in den Gassen erwischt worden war. Den Messerstich hatte sie erwähnt, das andere... nicht. Aber das, was ihr dort in dem Hinterhof passiert war, hatten Hunderte von Frauen in jedem Krieg durchgemacht. Nicht der Rede wert.
Sie schüttelte vehement den Kopf und legte ihre Hand beruhigend auf die der Cousine: "Ich koche wirklich ganz ordentlich, und wenn es halt Stew oder ähnliches sein sollte, dann das. Ich würde aber glaube ich lieber eine Art... na... Tätigkeit ergreifen, bei der ich die Zustände begutachte und den Behörden melde, wo welche Dinge anliegen. Auch persönlicher Art." Alles, alles, nur nicht in die abgemagerten Gesichter und den Schmutz starren, die gleichzeitig Furcht und Mitleid in ihr hervorriefen.
Aus den Augenwinkeln beobachtete sie die Texasrangerin. Amerikanerinnen... so frei... Wäre sie vielleicht auch so geworden, hier, in den Staaten?
"Mrs. Roquefort ist drinnen, Ma'am", antwortete Victoria höflich. "Wo Captain Grant ist, weiß ih nicht." Sie war immer noch unsicher, wie sie sich gegenüber Ms. Lacy verhalten sollte, da ihr die Ursache ihres Kummers unbekannt war. Und jetzt war sie auch noch aufgebracht - das verhieß nichts Gutes.
Bevor sich Rachel auf den Weg machte, ging sie noch einmal zu Charlotte und drückte sie mit einem mitfühlenden Blick an sich. "Es wird alles gut, wir werden einen Weg finden", flüsterte sie ihr ins Ohr. Dann drehte sie sich noch einmal Richtung Haus um, um zu schauen, ob ihr Mann noch einmal herausgekommen war. Doch keine Spur von ihm. Wahrscheinlich hatten ihn schon wieder fünf andere Aufgaben in Beschlag genommen. Es würde hart werden, die kommende Zeit ohne ihn durchstehen zu müssen und ihn in Gefahr zu wissen. Doch sie konnte nichts daran ändern und machte sich so mit feuchten Augen schnell Richtung Kutsche auf, damit niemand es bemerken würde.
"Guten Tag, Miss Lacy. Die Madame befindet sich oben, aber verfasst gerade einen Brief. Sie wird sicher in den nächsten Minuten nach unten kommen." fügte Caitlìn noch Miss Ashburys Auskunft hinzu. Sie wusste, wie unangenehm es war, wenn man in einem privaten Moment störte und wollte beiden Damen die Situation ersparen. Ihren scharfen Augen entgingen weder die kurzen Gesten der Sympathie, welche Mrs. Carrigan der Neuangekommenen entgegenbrachte, noch deren feuchte Augen. Miss Lacys Stimmung sprach aus jeder gespannten Bewegung, aus dem Glühen hinter dem freundlichen Blick. Sie war noch nicht vertraut genug, um in priavte Details eingeweiht zu sein, deswegen find sie aus alter Gewohnheit an, die Kleidung, Hände, Züge der anderen nach Hinweisen abzusuchen.
Falten sprachen für einen schnellen Ritt, der leichte Geruch von Dampf und Kohle davon, dass sie vermutlich am Bahnhof gewesen war. Abschied von ihrem Verlobten, da gehörte keine Kombinationsgabe hinzu. Das bedeutete natürlich auch, dass die Züge bereits den Bahnhof verlassen haben würden, denn vom starken Charakter von Miss Lacy ausgehend wäre diese sicher nicht erheblich früher von dort aufgebrochen. Stimme und Miene sprachen jedoch nicht nur von Besorgnis oder Wehmut, sondern vielmehr von Ärger. Zeichen von Gewalt oder einem Unfall, Verschmutzungen gab es keine. Caitlìns Blick wanderte hin zu den Händen, die Charlotte Lacy aber gerade leider so hielt, dass ihre Innenflächen verborgen waren, deren Zustand einiges hätte verraten können über die Tätigkeit derer in den letzten Stunden.
Mr. Carrigan ritt gerade so schnell es ging vom Bahnhof zurück zum Haus. Er hatte Capt. Montgomery noch die letzten Anweisung, für den Transport erteilt und hoffte schnell genug wieder zurück zu sein, damit er seine Gattin verabschieden konnte. Er entdeckte sie als sie auf dem Weg zur Kutsche war. Mr. Carrigan verlangsamte den Schritt seines Pferdes, um nicht die Anwesenden zu belästigen. Trotzdem schaffte er es noch seine Frau vor der Kutsche zu erreichen. Schnell sprang er vom Pferd runter und bevor seine Frau etwas sagen konnte, schlang er seine Arme um sie und hielt sie einfach nur fest.
_______________________________________________________ Don't mess with Texas
Timothy ritt gemütlich die Straße hinunter , als er innerhalb von kurzer Zeit von drei Reitern im Gallop überholt wurde. "Was für eine Hektik und das zu den Feiertagen" dachte er so bei sich. Er schaute sich um ... "irgendwo mußte doch diese vermaledeite Haus sein, wo er den Gouverneur antreffen sollte, um sich zurück zu melden ... die Wegbeschreibung war nur sehr dürftig gewesen" ägerte er sich , als er etwas weiter die Strasse hinunter eine Personengruppe vor einem Haus stehen sah ... "na vielleicht können mir die weiterhelfen.. " dachte er bei sich und steuerte zielstrebig auf die Gruppe zu ...
Als Mr. Carrigan seine Frau ungestüm in die Arme nahm, seufzte die Rangerin innerlich und dachte: <Na, wenigstens hat Ms. Higginbottom jetzt genug Zeit, die Kutsche noch rechtzeitig zu erreichen!> Ihr Blick schweifte ab, da sie dem Gouverneursehepaar die Privatsphäre lassen wollte und entdeckte den einzelnen Reiter auf der Straße. In Victorias Umhängetasche ruhte Ihre Waffe und automatisch wanderte ihre Hand dorthin. <Mal sehen, wer das ist und was er hier will...> Doch dann entspannte sich ihre Haltung wieder und sie lächelte - diesen Hut und das gelassene Gehabe kamen ihr sehr bekannt vor.
Timothy näherte sich weiter der Gruppe ... als er Einzelne erkannte , wurde Ihm bewußt, dass seit dem letzten Zusammentreffen mit vielen von Ihnen mittlerweile ein Jahr vergangen war ... < wo war nur die Zeit geblieben > ging es ihm durch den Kopf ...
Als er die Verabschiedung der Carrigans sah, wich er etwas von seinem Kurs ab und steuerte eine Tränke etwas abseits der Gruppe an ... er wollte den Moment nicht stören und sein Anliegen bzw. Order konnte auch noch warten bis sich Mr. Carrigan von seiner Frau verabschiedet hat.
An der Tränke band er sein Pferd an und versuchte seine Kleidung etwas herzurichten ... auch wenn er nicht wirklich eine Chance hatte etwas an dem dreckigen und abgenutzten Aussehen ändern zu können ...
Caitlìn gab ihre von Joseph Bell inspirierten Versuche auf und lächelte Charlotte freundlich zu. "Ich werde sie nach New Orleans begleiten. Ich habe vor, noch einige Zeit hier in den Staaten zu bleiben. Die Redaktion und mein Vater werden mich wohl für ein paar Monate nicht sehen."
Um Papa musste sie sich wenig Sorgen machen. Er würde vermutlich noch ca 80 Jahre leben und in den Highlands Streitgespräche um Burns, Scott und ähnliches führen. Der Chefredakteur würde vermutlich hin- und hergerissen sein, ob er sich freuen sollte, die größte schmerzende Stelle in seinem Gesäß los zu sein, oder ärgern, weil ihre Arbeit der Review viel Aufmerksamkeit gebracht hatte. Sie selber würde vielleicht hier und da die Straßen der schottischen Großen vermissen, und ihre Abenteuer dort, aber am meisten sicher die freien Ebenen und Hügel, die Lochs und den Wind der Highlands. Dort war sie aufgewachsen, dort lagen ihre wilden Wurzeln. Keine Stadt und keine Gesellschaft hatte es geschafft, herauszuzivilisieren, was die schroffen Berge und die widerspenstigen Disteln oben angerichtet hatten.
"Ich muss gestehen, ich weiß gar nicht, wo ich all meine Briefe hinschicken soll. Ich habe so vielen Leuten versprochen zu schreiben - und vergessen, zu fragen wohin." Ein schelmisches Blitzen stand in den braungrünen Augen.
<Es stehen hier genug Leute und Mrs. Carrigan ist im Moment bestimmt bestens aufgehoben> dachte Victoria und ging leise zu Timothy hinüber. Sie brannte auf Neuigkeiten der restlichen Ranger und wollte ihren Vorgesetzten auch nicht einfach an der Tränke stehen lassen.
"Es freut mich, dich lebend zu sehen!" begrüßte sie Timothy und lächelte wie immer unverbindlich. Sie konnte es nicht verhindern, dass ihr Blick nervös an seiner Seite vorbei in die Schatten der Bäume wanderte, stets darauf bedacht, mögliche Angriffe rechtzeitig zu bemerken. Seit sie Mrs. Carrigan schützte, war Nervosität zu ihrem ständigen Begleiter geworden - Rachel schien Kugeln und Ärger anzuziehen.