Susan hatte sich unauffällig zurückgezogen. Zum einen war sie froh, dass sich Claudine dazu entschieden hatte zu reden und sie wollte nicht stören, zum anderen sprach sie mindestens so gut Französisch, wie Russisch. Also gar nicht.
Sie zog den Vorhang wieder zu, drehte sich um und nahm sich vor in der Nähe zu bleiben, falls ihre Hilfe benötigt wurde. Beinahe augenblicklich wurde sie von einem Steward abgefangen, der ihr einige Unterlagen überreichte und ihr Fragen zur Behandlung bestimmter Patienten stellte, die Susan geduldig beantwortete.
Susan sah auf, etwas genervt durch die erneute Störung. Doch als sie den Bericht der Schwester hörte, ahnte sie sofort, um wen es sich handeln mußte. Sie stand umgehend auf und folgte der Schwester zu Claudines Bett. Doch bevor sie eintrat, dankte sie ihr und schickte sie fort, denn sie wollte Claudines Gesicht so gut es ging vor den Untergebenen wahren.
Als sie den Stoff bei Seite schob, sah sie bereits jemanden an Claudines Bett sitzen. "Die junge Deveraux", dachte sie erleichtert und auch ein wenig irritiert. "Nun, wer weiß, wozu das gut sein wird."
Sie lenkte Julies Aufmerksamkeit auf sich und bedeutete ihr, dass sie sie ablösen könne, wenn sie das wünsche.
Susan grüßte Grant und nahm abwesend den Brief von ihm entgegen. Da ihre Gedanken immer noch um Steward Roquefort kreisten, registrierte sie seine Glückwünsche im ersten Moment gar nicht und sah irritiert auf den Brief, als Grant abrückte, um sich um O'Hara zu kümmern. Nachdenklich ging sie zu ihrem Schreibtisch.
Was? Welche Beförderung?, dachte sie müde. Sie hielt immer noch den Brief in der Hand, während sie sich an den Schreibtisch setzte, um sich um säumige Unterlagen zu kümmern.
Moment! HQ, er hat HQ gesagt. Susan starrte den Brief an und langsam begriff sie. Sie legte den Brief sachte auf den Tisch vor sich, nachdem sie alle Unterlagen zur Seite gefegt hatte. Einen Augenblick beäugte sie den Brief, dann hielt sie es nicht länger aus. Sie öffnete den Umschlag und las das offizielle Schreiben.
"Möchten wir Ihnen mitteilen... Colonel (MD) Susan Summers... Stellvertreter Colonel (CSMD) Lassiter Rush... Glückwünsche..."
Susan starrte auf den Brief. Sie konnte sich nicht des Eindrucks erwehren, dass man sie nur wegen Col. Rush befördert hatte. Zumindest in der jetzigen Situation hatte die Beförderung diesen Beigeschmack. Sie war lange fällig, aber dass sie ausgerechnet jetzt kam? Auf diese Art wollte sie eigentlich nicht befördert werden. Sie seufzte und faltete den Brief wieder zusammen, bevor sie ihn ordentlich zurück in den Umschlag schob.
Colonel Rush war ein fähiger Mediziner und so gut sie sich auch verstanden, zumindest waren sie sich in medizischen und privaten Dingen bisher schnell einig geworden. Hoffentlich veränderte sich das durch die Beförderung nicht...
Susan war erleichtert, dass sie nun eine Sorge um Claudine streichen konnte, doch so ganz verstand sie das Problem des Stewards immer noch nicht. Sie sah sie prüfend, aber immer noch sehr freundlich an:
"Sie nicht? Hmmm." Susan dachte nach.
"Wen denn dann, wenn nicht Sie?", hakte sie vorsichtig nach. "Ist es dass, was Ihnen zu schaffen macht?"
"Ich kann Sie nicht zwingen, mit mir zu reden und das will ich auch gar nicht. Aber wie Sie selber feststellen, haben Sie nicht unerhebliche Probleme mit der vergangenen Situation alleine fertig zu werden. Ich kann Sie nur ermuntern zu reden, ob nun mit mir oder mit einem Ihrer Kameraden.
Ich dachte nur, dass es Ihnen vielleicht leichter fallen könnte mit einer Frau zu sprechen."
Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort:
"Ich kann Ihnen nur anbieten zu mir zu kommen. Aber Sie müssen sich schon helfen lassen wollen. Vielleicht sollten Sie wirklich endlich schlafen."
Susan dachte einen Moment nach. Sicherlich sollte der Steward schlafen, allerdings hatte sie das Gefühl, dass dies noch längst nicht alles war, was die jungen Frau so sehr schmerzte. Sie konnte und wollte ihr jedoch nicht befehlen, sich den ganzen Kummer von der Seele zu reden.
"Hätten Sie vorher gewußt, dass was...? Sind Sie sicher, dass Sie mir nicht die ganze Geschichte erzählen wollen?", fragte sie vorsichtig.
"Sie können sich sicher sein, dass die die Einzelheiten von unserem Gespräch den Raum nicht verlassen", fügte Susan hinzu.
Susan zog ein sauberes Taschentuch aus ihrer Uniform und drückte es Claudine in die Hand.
"Sie haben nicht gerichtet, sondern Sie haben Ihre verdammte Pflicht getan. Hätten Sie diese Chance verstreichen lassen, dann hätte dies vielleicht ein Leben lang auf Ihrer Seele gelastet. Menschen in die Skaverei und gerade in diese besonders abartige Version der Sklaverei zu schicken, ist unmenschlich, untragbar und unverzeihlich. Erscheint es Ihnen etwa heute nicht mehr richtig, diese Chance genutzt zu haben?
Sehen Sie es doch einmal so: Wir sind inmitten eines Krieges und in diesem gibt es viele Fronten, an denen Soldaten kämpfen. Sei es nun in einem Gefecht, sei es in einem Lazarett oder wie hier in Fort Worth, wo die Armee darum kämpft, die Flüchtlinge in Sicherheit zu bringen.
In diesem Gefängnis mußten Sie darum kämpfen, dass keine unschuldigen Zivilisten nach Mexiko in ein gewisses Etablissement geschafft wurden. Ich bin mir sicher, dass viele der Frauen ein solches Leben in Elend und Erniedrigung nicht lange überlebt hätten. Sie haben dies alles verhindert. Der Sklavenhändler ist tot. Ob er es verdient hatte zu sterben oder nicht, dass ist nicht Ihre Entscheidung gewesen, Sie haben sich nur entschieden, die akute Bedrohung abzuwenden. Der Preis, Blut an den Händen zu haben, ist dafür wirklich nicht hoch, oder?
Wir sind zwar Mediziner, aber wir sind auch Soldaten. Im Krieg töten Soldaten andere Soldaten. So einfach funktioniert unsere Welt."
Nach einer Weile fügte sie hinzu:
"Sie sind müde und erschöpft und Sie haben viel durchgemacht. Wenn Sie jetzt aufgeben, dann haben die Mexikaner gewonnen, dann haben sie Sie gebrochen und haben ihr Ziel erreicht. Das dürfen Sie nicht zulassen. Sie waren im Recht. Sie haben gehandelt, als es möglich war zu handeln. Ich rette lieber Leben, als dass ich es nehme. Doch wenn es die Situation erfordert, dann würde ich ohne zu zögern und ohne Rücksicht auf mein Leben die Waffe gegen einen Feind richten, als dass ich zulassen würde, dass er meine Kameraden tötet."
Susan hörte schweigend zu, während Claudine ihr von der Gefangenschaft erzählte. Sie ballte die Hände zu Fäusten, als sie von dem Sklavenhändler erzählte und wurde weiß vor Zorn.
Als die junge Frau vor ihren Augen zusammenklappte, riss sie sich zusammen, setzte sich neben sie und legte sanft einen Arm um ihre Schulter. Sie suchte nach Worten, denn der Kummer von Claudine war greifbar. Wie oft war sie schon in dieser Lage gewesen und sie wußte, dass alles was zählte war, dass man nicht alleine mit sich war.
"Wissen Sie Steward, das erste Mal einen Menschen zu töten ist furchtbar, wenn man sein Leben lang versucht hat Menschen zu retten. Es wird auch niemals viel besser. Aber manchmal müssen wir tun, was getan werden muss. Ich weiß, dass sich das jetzt wie eine Floskel für Sie anhört. Aber so ist das nun mal."
Susan sah, dass dicke Tränen auf Claudines Hände fielen. Sie schluckte schwer. Als sie weiter sprach, hörte sich ihre Stimme etwas belegt an.
"Sie haben richtig gehandelt, auch wenn es sich falsch anfühlt. Sie haben sich und andere nur verteidigt. Und sie sind Soldat, auch wenn Sie im medizischen Bereich zu Hause sind. Sie haben im Krieg einen verachtenswerten Menschen getötet und damit vielen Frauen viel Leid erspart. Ich hätte genau so gehandelt. Aber ich war nicht da, sondern Sie. Und Sie haben in einer Situation, die es Ihnen ermöglichte einzugreifen, eine sehr mutige Entscheidung getroffen, ohne Rücksicht auf Ihr Leben. Glauben Sie mir, Sie haben die Welt dadurch ein wenig besser gemacht.
Sie sind ein wirklich guter Steward, Claudine. Sie haben Schweres durchgemacht und Sie werden sicherlich auch noch viel Elend in den nächsten Wochen erleben. Aber Sie werden stark daraus hervor gehen. Wir brauchen Sie hier. Sie gehören zu uns. Geben Sie sich etwas Zeit, das Ganze zu verarbeiten und ich verspreche Ihnen, dass es mit jedem Tag einfacher wird. Und das kann ich Ihnen versprechen, weil ich so eine Erfahrung selber schon machen mußte und viele andere vor uns ebenso. Sie haben mein Wort, dass es besser wird."
Susan schwieg und hielt Claudine einfach nur fest. Manche Dinge brauchen einfach Zeit. Gut, dass sie zu mir gekommen ist., dachte Susan.
Susan sah dem Private, der nahezu fluchtartig das Lazarett verließ, lächelnd hinterher. Dann fiel ihr auf, dass sie immer noch den Bogen Papier in der Hand hielt. Sie unterschrieb ihn und legte ihn zu den Uniformen, sie würde später Schwester Vivien hinterher schicken. Ihr Lächeln wurde zu einem Grinsen.
Als Steward Roquefort plötzlich vor ihr stand, wurde sie schlagartig wieder ernst.
"Danke Steward, aber was machen Sie hier? Sollten Sie nicht in ihrem Bett liegen und schlafen?"
Susan sah Claudine prüfend an und seufzte.
"Aber wo Sie schon mal hier sind, können Sie sich gleich ihre Uniform mitnehmen. Suchen Sie sich raus, was Sie brauchen, der Rest ist für Lt. Deveraux."
Sie hielt kurz inne, dann zog sie die Vorhänge zu dem Abteil zu und fragte Claudine leise: "Was ist los mit Ihnen? Können Sie nicht schlafen? Aus medizinischer Sicht muss ich sagen, dass Sie wirklich schlecht aussehen. Kommen Sie, setzen wir uns. Was liegt Ihnen so schwer auf der Seele? Dies sind schwere Zeiten und es ist nicht einfach, daraus unbeschadet hervor zu gehen. Reden hilft manchmal."
Susan hatte ihren strengen Blick abgelegt und wirkte nun fast mütterlich.
Susan war Wesleys Blick durch den Saal gefolgt und ihr war der Blickkontakt zu Schwester Vivien nicht entgangen. Soso, dachte sie erleichert und hochamüsiert, daher weht der Wind also. Ein kurzes Schmunzeln zuckte in ihren Mundwinkeln, dann war sie wieder ernst. Später würde sie mit Schwester Vivien ein ernstes Gespräch über junge Soldaten führen müssen. Über diesen Private insbesonders.
"Seelische Verletzungen. Aha. Na dann folgen Sie mir mal, Private Baker."
Innerlich immer noch hoch amüsiert über den sich windenden Private, ging sie in einen abgeteilten Lagerbereich vor und drehte sich dann zum Private um, der ihr brav nachgefolgt war.
"Dann wollen wir mal sehen, was wir für ihren von seelischen Schmerzen gepeinigten Sgt. Mastersen tun können."
Susan griff in eine Kiste und holte eine Flasche hervor, die sie Private Baker in die Hand drückte.
"Gut wegstecken, Private. Und richten Sie Sgt. Mastersen meine besten Grüße aus. Erinnern Sie ihn bitte daran, dass er spätestens morgen Abend zur Nachuntersuchung hier auftauchen sollte. Es sei denn, er findet meine Fäden so schön, dass er sie behalten möchte."
Summers setzte gerade zur Unterschrift an, als sie für einen Moment innehielt und den Stift absetzte.
"Welcher Seargeant? Und von welchen medizinischen Versorgungsgütern sprechen Sie?", fragte sie dann sehr freundlich nebenher und warf einen genaueren Blick auf das Blatt, was sie gerade im Begriff zu unterschreiben gewesen war.
Susan drehte sich zu Wesley um, eine Tasse Kaffee in der Hand. Der Private hatte sie wohl aus einem Gedanken gerissen.
"Oh, Private, das ging ja schnell. Danke. Bitte legen Sie die Uniformen dort auf den Tisch. Wo soll ich unterschreiben?"
Sie stutzte kurz und nahm Private Baker genauer in Anschein.
"Private Baker. Geht es Ihnen gut? Sie haben einen hochroten Kopf. Fühlen Sie sich schlecht oder etwas schwach? Sie scheinen mir etwas zittrig und leicht irritiert."
Susan hatte in den vergangenen Tagen immer wieder ihre Rundgänge durch die verschiedenen Lager gemacht. So viele Menschen an einem Ort, unter derart unakzeptablen hygienischen Zuständen waren ihr ein Gräuel. Sie hatte die Befürchtung, dass über kurz oder lang sich eine Epidemie ausbreiten könnte. Aufmerksam musterte sie das Gesicht des jungen Privates und sah ihn dabei fragend an. In ihrem Kopf ging sie schnell mögliche Krankheiten durch, was ihr eine Sorgenfalte auf die Stirn trieb.
Susan sah hoch, während sie das Besteck in eine Schüssel legte.
"Oh, noch haben wir einige Betten frei und ich denke, ich kann es verantworten, Sie für eine Nacht "unter Beobachtung" zu stellen", erwiderte sie grinsend. "Für eine Nacht können wir sicherlich ein Bett in einem der Arztzelte entbehren.
Da draussen wuselt irgendwo Schwester Vivien herum, die junge Schwester, die Sie vorhin hier gesehen haben. Bitte melden Sie sich bei Ihr, sie wird alles in die Wege leiten."
Susan reichte Julie die Hand: "Herzlich Willkommen in Fort Worth. So und nun schlafen Sie sich mal richtig aus. Ich denke, wir sehen uns irgendwann im Fort."
Susan nickte zustimmend und begann vorsichtig mit ihrer Arbeit. Sie zog vorsichtig den ersten Knoten mit der Pinzette hoch und durchschnitt den Faden knapp am Knoten mit der Schere.
"Das wird ein wenig ziehen, aber ich denke, Sie werden das verkraften Lt. Deveraux."
In diesem Moment hörte man leise Schritte vor dem abgetrennten Bereich. Während Susan den ersten Faden zog, rief sie:
"Schwester, kommen Sie bitte mal hier herein." Eine junge Schwester betrat den Raum, grüßte die beiden anwesenden Offiziere höflich und fragte, wie sie helfen könne.
"Nun", antwortete Susan. "Sind Sie mit Ihren Aufgaben soweit heute durch?" Die Schwester nickte eifrig. "Ja, Major."
"Hervorragend. Dann können Sie noch Folgendes tun: Als erstes besorgen Sie Steward Roquefort ein Bett und tragen jemandem auf heißes Wasser zu besorgen, damit sie sich waschen kann. Sie bräuchte danach auch einen Salbenverband für ihr Knie. Es werden noch zwei Ärzte hier eintreffen, die ebenfalls eine Schlafgelegenheit brauchen."
Susan machte sich konzentriert an den zweiten Knoten, redete aber trotzdem weiter.
"Dann machen sie sich auf den Weg zur Uniformausgabe und besorgen zwei vollständige Uniformen. Und zwar mit Hemdem und allem, was sonst noch dazu gehört. Eine für Steward Roquefort und eine für Lt. Deveraux. Wenn die Jungs sich zieren, dann sagen Sie Ihnen freundliche Grüße, ich hätte gleich Zeit und könne persönlich rüberkommen, wenns nötig ist. Und sagen Sie Miss Harlington, sie möchte bitte die Abzeichen von den alten Uniformen auf die neuen nähen."
Der dritte Knoten mußte daran glauben.
"Das wars Schwester Vivien, vielen Dank."
Die junge Schwester machte sich, nach einem abschätzenden Blick auf Lt.Deveraux, um ihre Größe festzustellen, auf den Weg und sucht zunächst Steward Roquefort. Leise hörte man, wie sie draussen die Anordnungen des Majors weitergab und alles in die Wege leitete.
Und der letzte Knoten folgte zugleich, allerdings war dieser etwas eingewachsen und es zog etwas mehr.
"Lt. Deveraux, haben Sie bereits einen Schlafplatz zugewiesen bekommen? Ansonsten würde ich Ihnen anbieten, dass Sie für eine Nacht hier ein Bett beziehen und sich etwas frisch machen können. Das ist hier alles ein wenig komfortabler, als draussen im Camp und Sie können sich ausruhen, während sie auf Ihre Uniform warten."
Susan desinfizierte die Narbe mit den kleinen Wundlöchern noch einmal und dann trug sie eine Salbe auf, die umgehend ihre kühlende Wirkung entfachte. Abschließend wickelte sie einen Verband um das Knie.
"Den können Sie selber später wieder abnehmen, wenn die Salbe eingezogen ist", teilte sie Julie mit.
"Hmmmm.", sagte Susan abwesend, während sie vorsichtig die Naht untersuchte. "Gut versorgt", brummelte sie vor sich hin. Der Gesamtzustand des Lt. ließ sehr zu wünschen übrig, wie Susan mit einer hochgezogenen Augenbraue feststellte.
"Ja, die Fäden kann ich Ihnen entfernen. Haben Sie noch mehr Blessuren abbekommen?", fragte sie während sie sich herumdrehte und an einem kleinen Tisch anfing herumzuwerkeln. Sie goss ein wenig Desinfektionslösung in eine Schale, wusch sich die Hände und suchte sich eine kleine Schere, eine Pinzette, Salbe und einen Verband zusammen. Dann drehte sie sich wieder zu Julie um. Vorsichtig zog sie die Hose noch ein Stückchen höher und begann mit einem Tuch, was sie in die Desinfektionslösung tauchte, großzügig den Bereich um die Naht abzuwaschen.
"Ich bin mir sicher, dass wir nach dem Krieg ein weiteres Exemplar besorgen können. So lange werden Sie mit meinem vorlieb nehmen müssen. Sicherlich ist das sehr ärgerlich, aber ich bin fürs Erste froh, Sie wohlbehalten hier zu haben. Denken Sie nicht an solche Nebensächlichkeiten."
Susan erhob sich müde aus dem Schreibtischstuhl.
"Na dann lassen Sie mal sehen", sagte sie routiniert, testete die Beugung des Knies, begutachtete die Schwellung und den Zustand der Narben und diskutierte dabei jede Einzelheit mit der jungen Medizinerin.
Letztlich schloss sie ihre Untersuchung mit: "Ein wenig mehr Schonung könnte Ihnen nicht schaden. Ich würde sagen, die nächsten Tage legen Sie Ihr Knie hoch, dann sehen wir mal weiter. Lassen Sie sich gleich noch einen Salbenverband anlegen.
Susan lächelte hocherfreut. Na, dann hab ich ja doch noch eine Chance dem alten Metzger Manieren beizubiegen, dachte sie.
"Hervorragend. Sicherlich haben Sie ihm schon mitgeteilt, dass Ihr Artikel veröffentlicht wurde. Sein Exemplar der Jahresausgabe liegt hier in meinem Schreibtisch für ihn bereit.
Purcell sagt mir rein gar nichts. Wie auch immer.
Kommen wir zu Ihrem Knie, Steward. Haben Sie weitere Fortschritte gemacht?"
Susan stutzte. Hatte der Steward wirklich gerade Grant gesagt? Sollte das möglich sein? Susan hatte in den letzten Tagen des öfteren versucht, eine Bestätigung dafür zu bekommen, dass Grant gefallen war, doch nie eine erhalten, was sie aber nicht weiter verwunderte in der Hektik, die durch die Flucht entstanden war. Vermutlich würde es noch Wochen oder sogar Monate dauern, bis der wahre Verbleib aller vermißten Personen geklärt war. Bis heute war ja noch nicht einmal klar, wie viele Personen und wer als vermißt galt. Den Brief an die Familie von Grant hatte sie noch in der Schublade liegen. Sie hatte sich bisher geweigert, ihn abzuschicken.
Oder hatte Steward Roquefort in ihrer Erschöpfung nur die gewohnten Namen genannt? Susan mußte Gewißheit haben.
"Steward Roquefort", begann sie ganz sachte, "ist Ihnen bewußt, dass Sie gerade sagten, dass Lt. Murphy gemeinsam mit Captain Grant unterwegs ist?"
Major Susan Summers war nun schon seit einigen Tagen in Forth Worth und hatte in dieser Zeit hunderte von Patienten kommen und gehen sehen. Zumindest war es ihr so vorgekommen. Sobald sie keine Patienten zu versorgen hatte und sich ihrer anderen administrativen Pflichten entledigen konnte, war sie in die Lager gegangen, um dort die hygienischen Gegebenheiten zu kontrollieren. Zumindest das Trinkwasser sollte ohne jeden Zweifel rein sein. Darauf legte sie immer schon großen Wert. Leider waren die befehlshabenden Offiziere nicht immer ihrer Meinung, was sich jedoch mit einem "freundlichen" Gespräch ändern ließ.
Nun versuchte Susan schon seit einer halben Stunde eine Liste zu verstehen, die jemand, der anscheinend gerade erst vor einer Woche das Schreiben und bis dato noch nicht das Denken erlernt hatte, angefertigt haben mußte. "Das kann doch nicht so schwer sein, fest zu halten, welcher Arzt, Steward und welche Schwester wann hier angekommen und abgefahren ist. So unterschreib ich das auf keinen Fall", grummelte sie genervt, als sie vom Eintreten Claudines unterbrochen wurde.
Major Summers sah auf und innerhalb weniger Sekunden glätteten sich die Falten auf ihrer Stirn. "Steward Roquefort. Sie schickt der Himmel. Gut, dass Sie es doch noch geschafft haben. Wir haben uns große Sorgen um Sie alle gemacht. Setzen Sie sich. Wie geht es dem Knie?"
Susan stand auf und gab Claudine die Hand, dann bugsierte sie sie auf einen Stuhl. Sie schien wirklich froh zu sein, eines ihrer "Schäfchen" wieder gefunden zu haben.
"Sie sehen müde aus, ich lasse Ihnen gleich ein Bett zuteilen und etwas zu essen bringen. Aber nicht, bevor Sie mich auf den neusten Stand gebracht haben. Was ist mit Lt. Murphy? Ist er nicht bei Ihnen gewesen", fragte Susan besorgt.